von Mehdi Moradpour
URAUFFÜHRUNGRegie: Zino Wey
Premiere am 27. Jänner 2018Aufführungsdauer:
1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
Eine Produktion des Schauspielhauses Wien in Kooperation mit dem
im Rahmen des »Arbeitsateliers«. Das »Arbeitsatelier« wird gefördert durch
den Eine irreversible Entscheidung: Soll Elija eine schwerwiegende
Operation an sich vornehmen lassen, um die eigene Liebe leben zu können? Mehdi Moradpour entwirft das poetische Bild einer
Gruppe von Menschen, die mit allem erdenklichen Einsatz um ihren Platz in der Welt kämpfen.
Leerstehende
Rohbauten am Rande des Häusermeers, umgekippte Ölfässer, eine verlassene Raffinerie am Stadtrand. Unter den Maulbeerbäumen
begegnen sich junge und ältere Menschen, Randständige in einer surrealen Welt. Elija trifft dort auf Homosexuelle, Transgender,
Prostituierte. Was Begierden und Sehnsüchte anbetrifft, passt Elija nicht in das gängige Korsett des weiblich-männlichen Dualismus,
von Hetero- oder Homosexualität. Weil in dieser Gesellschaft alles, was sich zwischen diesen Polen bewegt, nicht akzeptiert
wird, hatte Elija sich auf Druck eines früheren Partners zu einer Geschlechtsumwandlung entschlossen. Die Operation bot dem
Paar die einzige Chance, ihre Beziehung offen leben zu können. Doch Frieden mit dem eigenen Körper brachte sie Elija noch
lange nicht. Elija träumt von einem neuen sozialen Körper, von neuen Allianzen zwischen Mensch, Tier und Maschine/Technik.
Jenseits des Binären: Körper ohne Grenzen, ohne Zuschreibungen. Nicht Schwarz oder Weiß, sondern beides und
alles dazwischen und alles darüber hinaus. Aus Elijas Perspektive skizziert Mehdi Moradpour einen Kosmos von Menschen, die
auf sehr unterschiedliche Weise mit ihren Körpern ringen. Da ist Fanis, der für eine neue Liebe seine Niere spenden möchte.
Da ist Flo, der die Vermarktbarkeit seines Körpers durch technische Erweiterungen steigern will. Der Autor verhandelt Körper,
die sich verändern wollen für den anderen und die sich erweitern für sich selbst. Körper, die gängige Kategorien hinter sich
lassen.
Ausgehend von der Tatsache, dass im Iran Homosexualität zwar verfolgt, Geschlechtsumwandlungen aber gleichzeitig
offiziell gestattet und unter bestimmten Bedingungen sogar staatlich finanziert sind, begann Mehdi Moradpour das Nachdenken
über die seinem jüngsten Stück zugrundeliegende Welt. So sehen sich Homosexuelle im Iran, die ihre Partnerschaft nicht im
Geheimen leben wollen, immer wieder gegen ihren Willen zu Geschlechtsumwandlungen gezwungen.
Währenddessen
ist in Europa laut dem Sozialpsychologen Ernst-Dieter Lantermann die rasante Entwicklung einer »radikalisierten Gesellschaft«
zu beobachten. Mechanismen der Ausgrenzung, Abgrenzung und das Denken in hergebrachten Stereotypen behindern mehr denn je
ein offenes und weitsichtiges Weltbild. Gleichzeitig verweist Lantermann jedoch auf den direkten Zusammenhang zwischen der
Möglichkeit, den eigenen Körper zu gestalten, ihn wenigstens zu kontrollieren, und einer vermeintlichen Sicherheit in einer
immer unübersichtlicheren Welt. Da stellen sich virulente Fragen, die die Lebenswirklichkeit von Moradpours Figuren ebenso
betreffen wie unsere: Kann sich Identität immer nur im Rahmen einer Kategorisierung oder anhand von Abgrenzung bilden? Wie
lässt sich gegen Engstirnigkeit und Schablonen- denken vorgehen? Was passiert, wenn man versucht, ein tradiertes System von
Geschlechterverhältnissen zu hinterfragen? Wenn ein Körper über die gesellschaftlichen Grenzen hinausgeht, wartet da immer
schon ein unüberwindbarer Konflikt?
In bildreicher und poetischer Sprache umkreist Moradpour Fragen von Identitätsbildung,
Selbstbestimmung und Optimierung von Körpern. Indem er diese Fragestellungen mit surrealen Traumsequenzen verwebt, schafft
der Autor eine komplexe Beziehungsgeschichte. Seinen Protagonist*innen ist der allgegenwärtige gesellschaftliche Imperativ
der Selbstoptimierung buchstäblich in Fleisch und Blut übergegangen und sie hinterfragen die klare Abgrenzung von Mensch und
Maschine.
Mehdi Moradpour, geboren 1979 in Teheran, studierte Physik und Industrietechnik in Iran, sowie
Hispanistik, Amerikanistik und Arabistik in Leipzig und Havanna. 2001 flüchtete er nach Deutschland und lebt heute als Autor,
Übersetzer und Dolmetscher in Berlin. 2014-16 nahm er am Lehrgang »Forum Text« von uniT Graz teil. 2015 gewann er den Autorenwettbewerb
der Theater St. Gallen und Konstanz für »mumien. ein heimspiel«. 2016 wurde sein Musiktheaterstück »chemo brother« an der
Deutschen Oper Berlin uraufgeführt. Im selben Jahr erhielt Mehdi Moradpour den exil-DramatikerInnenpreis der WIENER WORTSTAETTEN
für sein Stück »türme des schweigens«.
Zino Wey, 1988 in Basel geboren, war 2012-14 Regieassistent an den
Münchner Kammerspielen, wo er u. a. mit Johan Simons, Alain Platel, Susanne Kennedy, Sebastian Nübling und Armin Petras arbeitete.
Während seiner Assistenzzeit inszenierte er regelmäßig an den Münchner Kammerspielen (u. a. Ágota Kristófs Stück »Die graue
Stunde«). 2013 erarbeitete er im Rahmen der Treibstoff Theatertage Basel mit Moïra Gilliéron und Ariane Koch das Stück »Mein
Enkel 2072«. Seit der Spielzeit 2014/15 arbeitet Zino Wey als freier Regisseur u. a. an den Münchner Kammerspielen, Residenztheater
München, dem Schauspielhaus Zürich, dem Nationaltheater Mannheim und der Kaserne Basel. Mit seiner Gruppe GKW realisiert er
regelmäßig eigene Projekte.