oder
who owns history
ein carbondemokratischer spaghettiwesternvon Thomas Köck
URAUFFÜHRUNGRegie Elsa-Sophie Jach & Thomas Köck
Premiere am 11. Jänner 2020
Gastspiel-Termine
für »Kudlich in Amerika«
klagenfurter
ensemble 4., 5. September 2020Aufführungsdauer: ca. 100 Minuten, keine Pause
Als jüngster Abgeordneter des Parlaments stellte Hans Kudlich
im österreichischen Reichstag 1848 den Antrag zur Abschaffung der Leibeigenschaft und ging damit in die Geschichte ein. Gleichzeitig
entstand im Zuge dieser Bauernbefreiung die Raiffeisen-Bank. Für die Bauern folgte eine Abhängigkeit auf die andere: nunmehr
die von den Kreditgebern. In "Kudlich - eine anachronistische Puppenschlacht" (Uraufführung Schauspielhaus Wien 2016), dem
ersten Teil von Thomas Köcks "Kronlandsaga", ging es um die Frage nach der Ambivalenz der Freiheit, nach der problematischen
Dialektik des Liberalismus.
Mit seinem jüngsten Stück entwirft Köck eine Fortsetzung und verlagert die Geschichte
von Kudlich nach Amerika. Aufgrund seiner Teilnahme am Wiener Oktoberaufstand zum Tode verurteilt, floh Hans Kudlich tatsächlich
in den 1850er Jahren in die USA. In Köcks Fiktion landet er dort unverhofft hundert Jahre später zwischen Hollywood-Stars
am Set eines bekannten Westernfilms in der texanischen Wüste. Er entdeckt, wie einst James Dean auf der Leinwand, mehr durch
Zufall denn durch eigenes Zutun eine Ölquelle. Durch die Linse des Western-Filmgenres wirft Thomas Köck einen eigenwilligen
Blick auf die USA des ausgehenden 19. Jahrhunderts: Die Zeit, in der sich mit der profitorientierten, ungehemmten Erschließung
von Land und Rohstoffen die Idee von Freiheit, Wachstum und Individualismus als US-amerikanische Grundwerte herausbilden.
Der im Westernfilm mythisierte Prozess der Landnahme und Expansion gen Westen mündet im Einsetzen einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung,
deren Antrieb die Verheißung ist, dass jede/r es nach oben schaffen kann. Thomas Köck nimmt dies zur Folie für das Nachdenken
über den Treibstoff des klassischen Kapitalismus, der wie kein anderer Fortschritt und Bedrohung verkörpert, die Kriege des
20. Jahrhunderts befeuert und die Welt an den Rand des ökologischen Kollaps geführt hat: das Öl.
„schön wärs wär
die geschichte immer so eindeutig wie sie sich später dann gern darstellt“ denkt Kudlich einmal laut. Köcks humorvolles Spiel
mit historischen Fakten und filmkulturellen Zitaten vermittelt gerade die Unmöglichkeit ebensolch eindeutiger Darstellung
und leuchtet aus, wie gefestigte Narrative durch erfinderisches Erzählen aufgebrochen werden können. Wie lässt sich die Komplexität
der Geschichte, die niemals nur etwas Vergangenes ist, heute künstlerisch bedenken? Wer verfügt über ihre Erzählung? Verschiedene
Zeitebenen raffiniert miteinander verwebend, knüpft Thomas Köck Verbindungen durch die Jahrhunderte in die Gegenwart, wo die
fatalen Langzeitschäden der Ausbeutung der Erde durch den Menschen unleugbar ins Sichtfeld gerückt sind. Wo Klimabewegungen
die Veränderung des kapitalistischen Gesellschaftssystems einfordern, während in der Weltpolitik rechtspopulistische Politiker*innen
und Gruppierungen an Regierungsmacht gewinnen.
Thomas Köck ist der erste Dramatiker, der zweimal in Serie den Mülheimer
Dramatikerpreis, die wichtigste Auszeichnung für deutschsprachige Theaterautor*innen, gewonnen hat. Dem Schauspielhaus ist
er seit 2015 eng verbunden, seit mit "Strotter" erstmals ein Stück von ihm in Österreich uraufgeführt wurde. Es folgten "Kudlich"
(2016) und "Die Zukunft reicht uns nicht (Klagt, Kinder, klagt!)" (2017), das er im Regieduett mit der Regisseurin Elsa-Sophie
Jach zum ersten Mal selbst inszenierte. Das Stück wurde 2018 für den Nestroypreis in der Kategorie „beste Regie“ nominiert
und zu den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin eingeladen. Am Thalia Theater entstand mit „dritte republik“ (2018)
ihre zweite Zusammenarbeit, die 2019 eine Einladung zum Festival Radikal jung erhielt. Mitten im amerikanischen Wahlkampf
kommt nun die dritte gemeinsame Inszenierung von Elsa-Sophie Jach und Thomas Köck auf die Bühne, erstmals mit musikalischer
Unterstützung von Andreas Spechtl, der unter anderem Sänger, Songwriter und Gitarrist der Gruppe Ja, Panik ist.