von Ewe Benbenek
URAUFFÜHRUNG
Regie Florian Fischer
(Premiere am
4. April 2020)
Produktion auf Herbst 2020 verschoben.
Eine Frauenstimme,
eine sogenannte »Migrantin der 2. Generation«, zwischen zwei Welten. Urban, akademisch, hip, hektisch die eine. Ländlich,
traditionell, familiär, chauvinistisch die andere. Von deren Lebenswirklichkeit hat sie sich weit entfernt, nicht nur geografisch,
auch in ihren Vorstellungen über das Leben. Beim Besuch der Großmutter in einem Land, das ihre Eltern vor Jahrzehnten bereits
verlassen haben: immer dasselbe beklemmende Ritual. Auf die geschundenen Waden der Großmutter wird die wohltuende Venensalbe
einmassiert, wie immer. Der Geruch weckt die Erinnerungen an Fragmente aus der Vergangenheit der eigenen Familie. An steife
Treffen mit der Schwester, in einer anderen Stadt, notdürftig gelockert durch einen Schluck Sekt am Bahnsteig. Wie sie die
längst von Fremden bewohnte Wohnung besuchen, in der sie aufgewachsen sind, das ehemalige Kinderzimmer, heute umfunktioniert
zur Abstellkammer. Wie es in der Schule hieß, das Kind sei zu langsam, das Kind lerne die neue Sprache nicht schnell genug.
Wieder in einer anderen Stadt versucht die erschöpfte Protagonistin zu schlafen, am Vorabend des ersten Arbeitstages in ihrem
neuen Job. So lange hat sie auf diese neue Chance hingearbeitet, doch eigentlich wünscht sie sich nur, aus dem Hamsterrad
auszusteigen. Endlich mit ihren Freund*innen durch die Nacht ziehen, als Göttinnen der Nacht, die für sie ein Rückzugsgebiet
ist, ein Raum der Freiheit – und der Solidarität.
Ewe Benbenek, geboren 1985 in Kamienna Góra, ist Autorin, Literatur-
und Kulturwissenschaftlerin und war von 2014 bis 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Neuere deutsche Literatur/Theaterforschung
an der Universität Hamburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind postmigrantische und postkoloniale Diskurse im Theater, in der
Performancekunst und der Gegenwartsdramatik. Ihr erster Theatertext »Tragödienbastard« ist ein hochmusikalischer, polyfoner
Text-Bastard aus Familienerinnerungen und dem wütenden Gedankenstrom einer um ihre Sprache und ihren Platz in der Welt ringenden
Protagonistin. Über allem schwebt immer die Frage, wie man über jene Erfahrungen und Verletzungen in der eigenen Biografie
sprechen kann, die sich einfachen Erklärungen entziehen. Was ist das, was sich als postmigrantisches Wissen bezeichnen ließe?
Und wie ist es möglich, dieses mit Menschen zu teilen, die nicht darüber verfügen. Ewelina Benbenek erzählt berührend über
die Entfremdung einer Familie, über Empowerment und reflektiert über Kommunikation an sich – gleichermaßen auf einer individuellen
wie auch auf einer gesellschaftlichen Ebene.
Florian Fischer, geboren in Altötting, ist Regisseur und bildender
Künstler. Er studierte Philosophie, Anglistik und Geschichte sowie Theaterregie an der Otto Falckenberg Schule in München.
Seit 2014 inszeniert er u. a. am NT Gent, am Staatsschauspiel Dresden und am Schauspielhaus Bochum. Für seine Inszenierung
OPERATION KAMEN am Staatsschauspiel Dresden in Koproduktion mit dem Archa Theater Prag erhielt er den Kurt- Hübner-Regiepreis
2019 und wurde zu dem Festival für junge Regie – radikal jung 2019 eingeladen. Sein Beschäftigungsfeld ist multidisziplinär:
Soundarbeiten wie Hörspiele, Installationen und Audiowalks fallen genauso darunter wie das Verfassen von Reportagen, Lecture
Performances und theoretischen Texten oder das Inszenieren einer Modenschau für die Paris Fashion Week. »Tragödienbastard«,
entstanden im Rahmen des Arbeitsateliers, ist Florian Fischers erste Inszenierung in Österreich.