"die welt so wahrzunehmen, wie tiere es tun, könnte eines tages
unseren blick auf unsere tierischen artgenossen für immer verändern", schreibt die kognitionsbiologin angela stöger in ihrem
2021 erschienenen buch von singenden mäusen und quietschenden elefanten. die expertin für bioakustik und lautkommunikation
gehört zu einer stetig wachsenden gruppe von wissenschaftlerinnen, die sich mit der erforschung von 'tierischem bewusstsein'
beschäftigt. eine regelrechte flut an büchern widmet sich seit jahren der intelligenz, empathie- und lernfähigkeit, dem schmerzempfinden
und 'gefühlshaushalt' von tieren und den daraus resultierenden konsequenzen für uns menschen. vegetarische und vegane ernährung
gilt längst eher als lifestyle denn als puritanertum, und selbst überzeugte fleischkonsumentinnen überkommt mittlerweile ein
unbehagen, wenn sie an die verwerfliche herkunft ihres bratens denken. fast ist es, als ob sich die frage des ersten tierethikers,
jeremy bentham (1748-1832), heute gar nicht mehr stellte, so klar scheint die antwort: "die frage ist nicht: können tiere
denken? oder: können sie sprechen? sondern: können sie leiden?"
der glaube an die vermeintliche
einzigartigkeit unserer spezies ist in den vergangenen jahrzehnten also gründlich erodiert. ob man tiere nutzen, essen oder
auch nur als hausgenossen halten darf, ist keine private angelegenheit mehr, sondern eine politische. noch ist nicht der historische
moment gekommen, um nach nationalismus, rassismus und sexismus auch die schranke des 'speziesismus' zu überwinden, der die
diskriminierung von lebewesen lediglich aufgrund ihrer artzugehörigkeit rechtfertigt. aber – pathetisch gesagt: die sehnsucht
nach einer neuen basis im verhältnis von natur und ihrer beherrschung durch den ausbeuter mensch wächst. und mit ihr der wunsch
nach einer neuen 'human-animal-relation' frei von gewalt, verdinglichung und gefangenschaft. hin zu einem tierrecht, das den
tierschutz transzendiert wie die gerechtigkeit das mitleid.
all das wird zu verhandeln sein – in fiction und non-fiction,
in prosa und poesie, belletristik und sachbuch. nicht zu vergessen dieses schöne gutachten: charles darwin befand, dass "schamhaftes
erröten" die menschlichste aller ausdrucksformen sei.
und: 'ich sah, wie die besten köpfe meiner generation von
katzenvideos zerstört wurden ...'
freitag, 30.9., 20h > Karten kaufen
begrüßung:
andrea mayer (staatssekretärin,
bundesminsterium für kunst, kultur, öffentlicher dienst und sport)
veronica kaup-hasler (stadträtin
für kultur und wissenschaft)
eröffnung:
tomas schweigen (schauspielhaus wien) und fritz
ostermayer (schule für dichtung)
johannes ullmaier (mainz). einführungsvortrag.
egal, ob es um sumerische fabeln als ursprung aller tiergeschichten gehen wird oder um moralischer tierschutz versus politisches
tierrecht, ob um eine neue 'theorie der ontogenese' oder unübersetzbare sprachen der tiere – unser langjähriger diskursiver
eröffnungsdurchlauferhitzer johannes ullmaier, literaturwissenschaftler zu mainz, wird auch heuer wieder einen sinnlich kognitiven
bogen zwischen geistes- und naturwissenschaften spannen, auf dass uns ein licht aufgehe in inhaltsregionen, von denen wir
nicht einmal ahnten, dass sie im dunkeln existieren. wenigstens aber wissen wir dank einer studie der primatenforscherin sasha
winkler und des kommunikationsforscher greg bryant, dass es – bislang – 65 lachende tierarten gibt. wie viele davon auch kitzlig
sind, weiß man noch nicht.
nell zink (bad belzig) und klaus nüchtern (wien). delir
über vögel oder ornithomanie als schöne kunst betrachtet.
hier haben sich zwei gefunden: eine autorin und ein
literaturkritiker, die sich lieber über glanz und elend der vogelwelt unterhalten als über fluch und segen von dichtkunst.
im frühjahr leitete nell zink die erste birdwatching-klasse der schule für dichtung mit dem bezaubernden titel "ästhetik der
vögel. wer, wenn ich schriebe, hörte mich denn aus der meisen ordnungen"? als marschgepäck bekam jeder student von zink ein
sachbuch mit dem nicht minder betörenden titel liebeslust und ehefrust der vögel. vogelnarr nüchtern wird also aus
dem vollen schöpfen können und vielleicht auch noch aufdecken, welche viecherl sonst noch zink in ihrem legendären fanzine
animal review (fanzine für die pflanzenfressende jugend) rezensiert hat. wir wissen nur vom mungo: "mungos
ähneln flussottern, nur ohne die flüsse. einmal mittags und einmal bei sonnenuntergang tummeln sie sich auf dem hinteren rasen
des wohnhauses in haifa, wo man avner shats besucht. vom vierten stock aus gesehen, wenn man gerade nach unten schaut, laufen
und spielen sie in langen, sich windenden s-kurven. sie sind mehr oder weniger wie schnecken geformt, mit dicken schwänzen
und stumpfen köpfen. wenn man versucht, ihnen futter zuzuwerfen, bläst der wind es auf die wäsche der nachbarn im erdgeschoss
und in deren fenster, so dass derzeit nicht bekannt ist, wie mungos auf futtergeschenke reagieren."
lieblingsziegenvideos der sammlung clemens setz.
teresa präauer (wien). lesung.
lässt sich
die animalisation des homo sapiens anhand von kunst, literatur, film und mode beschreiben ohne gleich einen metaphernzirkus
aufzuführen? und was soll das überhaupt bedeuten: vertierung des menschen? wo doch bald der cyborg unser nächster verwandter
sein könnte. nicht erst seit ihrem gefeierten essay/poesie-hybrid tier werden streift teresa präauer durch die abtriften und
außenposten der mensch-auflösung, bereits in ihrem roman oh schimmi von 2016 macht sich ein männlicher teenager dermaßen zum
affen, dass die gattungsgrenzen sich zumindest im lachhaft traurigen monolog dieses "primaten ohne eigenschaften" (matthias
friedrich) auflösen. freilich auch in präauers mitreißendem assoziationsfluss, der als kontrollierter stream of consciousness
vermutlich genau weiß, worin er münden soll: in eine fantastische ursuppe, in der haar und fell, hornhaut und schuppen, panzer
und kostüm als artifizielle einlagen zum spielen einladen wie die buchstaben in der buchstabensuppe. keine autorin ist der
tier-werdung als künstlerische disziplin lustvoller auf der spur. und das in einem schreibakt "wilden denkens", der claude
lévi-strauss, dem erfinder des begriffs, wahrscheinlich sehr gefallen hätte.
deb olin unferth (austin/texas).
lesung mit eingestreuten fragen.
noch gibt es unseres wissens keine dissertation über das huhn in
der abendländischen literatur, aber gäbe es eine, dann käme diese nicht ohne eine gründliche analyse des romans barn
8 aus, dessen deutsche übersetzung interessanterweise happy green family betitelt ist. es
handelt sich hierbei – ohne spoileralarm – um den komischsten, aber auch berührendsten hühnerroman ever, im dem es um nichts
weniger geht als um den größten tierraub der geschichte. unter dem banner von 'animal liberation'. knapp 1 million legehennen
sollen aus industrieller geflügelzucht befreit werden, von rund 500 mehr oder minder durchgeknallten aktivistInnen mit 60
lastwägen in nur einer nacht. das klingt nach fitzcarraldo und ist doch weit mehr marx brothers denn werner herzog. nach der
lektüre dieses grandiosen romans graust es einem vor jeder eierspeis, aber eine neue, höchst emphatische sicht auf das liebe
federvieh gleicht das bei weitem aus. deb olin unferths größter fan, fritz ostermayer, wird mit der autorin über ihre begeisterung
für hühner, die sandinisten nicaraguas und creative writing workshops in hochsicherheitstrakten texanischer gefängnisse reden.
und über die große südstaaten-autorin flannery o’connor, die ihre hühner so sehr liebte, dass sie ihnen pullover strickte
... pardon: pullunder. wegen der flügerl.
(in englischer sprache)
samstag, 1.10., 20h > Karten kaufen
jana volkmann (wien). lesung.
das tier im kapitalismus als ideologie der ausbeutung von allem und jedem. die schriftstellerin jana volkmann interessiert
das 'arbeitstier' und sie fragt daher konsequent: sind tiere historische subjekte? können sie zu revolutionären akteurinnen
werden? volkmanns neuer, im frühjahr 2023 erscheinender roman der vektor vertritt eine radikale position, wenn nutztiere als
arbeiter und arbeiterinnen dargestellt werden und malochende tiere als neu zu definierende proletarische klasse. in einem
merkur-artikel vom mai 2022 schreibt die autorin: "in florida wird gerade über ein gesetz entschieden, das nicht mehr arbeitsfähigen
polizeihunden unter anderem subventionierte tierarztbesuche zugestehen soll – eine art altersvorsorge also, eine rente".
sehr löblich, aber vom pensionierten hund im rentnerstaat florida zur proletarischen tiergemeinschaft als revolutionäres potential
scheint es noch ein langer marsch. fix hingegen ist: "ohne die unermüdliche produktivität der spürhunde und brauereigäule,
der therapiekatzen und der brieftauben wäre die menschheit nicht dort angekommen, wo sie sich heute befindet". von pferden
und delphinen im kriegsdienst ganz zu schweigen.
judith schalansky feat. bettina hoppe (berlin).
performative lesung.
allein mit der von judith schalansky seit 2013 bei matthes & seitz herausgegebenen
reihe naturkunden ließe sich ein woodstock der tiere programmieren. man muss kein bibliophiler freak sein, um diese
von schalansky auch hervorragend gestaltete reihe über esel ("lob des eigensinns"!), faultiere ("alles an diesem tier scheint
ein statement zu sein"!), schwein (thomas macho!) etc. etc. als ganzes besitzen zu wollen: 88 bände, einer schöner und wissenspraller
als der andere. aber auch die autorin judith schalansky ist vom 'nature writing' fasziniert, dem "literarischen schreiben
über naturphänomene", dessen anfänge sie in ihrer dankesrede anlässlich der verleihung des diesjährigen carl-amery-preises
beim spätantiken gelehrten kelsos verortet, einem streitlustigen tierfreund wider das christentum und dessen verheerender
glaubenslehre, die dem menschen eine unbeschränkte herrschaft über die welt einräumt. und apropos rede – wenn dieser auszug
aus unserem mailverkehr kein appetizer ist, dann wissen wir auch nicht: "ich könnte mir vorstellen, eine rede zu halten ...
das thema sind kanarienvögel, es geht schon um so etwas wie das ende und/oder die rettung der welt, aber am ende würde ich
es gerne in etwas partizipatives überführen – zusammen mit bettina hoppe, die als special guest mitreist und eine gewiefte
vogelstimmenimitatorin ist." ja, das hat uns gerade noch gefehlt – eine vogelstimmenimitatorin! der beste stimmen- und soundimitator
unter den vögeln selbst ist übrigens das australische leierschwanz männchen, das im balzrausch nicht nur zahlreiche andere
vögel perfekt imitiert, sondern auch alles, womit der mensch in wald und flur radau macht: motorsägen, äxte, traktorentuckern,
motorräder und sogar autoalarmanlagen.
lieblingshasenvideos der sammlung clemens setz.
kalle aldis laar (münchen/wien) – "mit tieren musizieren". eine klassenpräsentation.
die sfd-sound-klasse des klangkünstlers, komponisten, hörspielautors und djs kalle laar hatte sich noch vor ihrem start
die politische frage nach dem aneigungscharakter ihres tuns zu stellen. könnte es ein akt von cultural (oder natural?) appropriation
sein, mit tierstimmen zu experimentieren? hierzu teacher laar: "vielleicht stand am anfang von gesang und sprache die nachahmung
von tierlauten. bedeutet das dann nicht auch, dass am anfang der sprache die täuschung, die lüge war? mit seinem ruf beansprucht
der hirsch sein revier und definiert seine grenzen. die nachahmung dieses rufes durch den menschen ist vortäuschung von rivalität,
die annoncierung eines eindringens in den akustisch behaupteten herrschaftsraum durch einen konkurrenten, jedenfalls nicht
der wunsch nach kommunikation." aus einem gemeinsamen chor von tier und mensch kann so freilich nichts werden. schade – aber
toll: denn auch das samplen, nachahmen, interpretieren und erfinden animalischer lautäußerungen kann zu künstlerischen werken
führen, die sich vor den gesängen der siamang-affen, dem blues-barking von oswald wieners schlittenhunden oder gar dem gefiepse
von josefine, der sängerin aus dem volk der mäuse nicht zu verstecken brauchen.
peter iwaniewicz (wien)
und tex rubinowitz (wien). ein zwiegespräch.
dem autor, humorzeichner und sänger (einer
mäuseband!) tex rubinowitz eilt nicht nur der ruf eines imposanten 'bremsenflüsterers' voraus, er gilt auch als erster marathonläufer,
der sich im kostüm einer stubenfliege schwitzend zum narren machte. rund um bordeaux. geschätzt wird rubinowitz indes für
seine übellaunigen wie anrührenden skizzen flugunfähiger hühner und enten sowie flugfähigen geflügels und hasen. sein glück
aber findet der tierfreund im rumgurken mit seiner italienischen freundin, der eselin pauline und deren sohn werner. in den
abruzzen.
dr. peter iwaniewicz ist biologe, abteilungsleiter im klimaschutzministerium, hochschuldozent und wissenschaftsjournalist.
berühmt aber wurde er durch seine tier (und mensch)-kolumne im falter, in dessen redaktion iwaniewicz und rubinowitz
einander vor jahrzehnten auch kennenlernten. seither in zahlreiche zwiegespräche über bärtierchen, gnuziegen und andere faunistische
sonderlinge verstrickt – und dabei oft versumpert. in wiener gaststätten. im schauspielhaus aber wird es um alles gehen müssen:
von a wie aal bis z wie zz top!
Eintrittspreise für die Festivalabende am 30. September und 1. Oktober 2022 im
Schauspielhaus:
Tagesticket:
Normalpreis 12,-
U30 10,-
Erhältich an unserer
Tages- und Abendkassa bzw. im Schauspielhaus-Büro oder online.
Kombiticket:
(beim Kauf von
beiden Tickets auf einmal, nur im Schauspielhaus erhältlich bzw. via Email unter karten@schauspielhaus.at)
Normalpreis 20,-
U30 15,-