ein postfaktisches Epos nach Homer,
Vergil, Shakespeare, Schiller & Goethe
URAUFFÜHRUNGRegie: Tomas Schweigen
Premiere:
auf unbestimmte Zeit verschoben
Die geplante Produktion „WAR
IS NOT HAPPENING…“ wird aufgrund der Ereignisse zugunsten von „DIGITALIS
TROJANA – Der See, die Stadt und das Ende“ abgesagt. Auf verschiedenen Ebenen werden in dieser neu angesetzten Produktion
die Handlungsstränge der Seestadt-Saga zu Ende erzählt. Der Theaterabend steht allerdings für sich und setzt keine Vorkenntnisse
der Serie voraus. Die Wirklichkeit ist abgeschafft. Im Krieg gibt es nurmehr Interessen. Tomas
Schweigen & Ensemble untersuchen anhand des rätselhaften Komplexes um das mythische Troja das Verhältnis von Kultur, Politik
und Wahrheit im postfaktischen Zeitalter.
Troja ist die perfekte Festung. Nie ist es gelungen, die prosperierende
Stadt einzunehmen. Doch an den Grenzen rumort es. Und auf dem Olymp hat sich ein erlesener Kreis göttlicher Voyeure zusammengefunden,
um die Menschheit auf ihrer Reise an den Rand des Verderbens zu beobachten. Aus an und für sich nichtigen Gründen drohen sich
Griechen und Trojaner gegenseitig auszulöschen. Der brutale Vernichtungskrieg tobt seit zehn Jahren. Doch die Mauern Trojas
halten stand – bis sich die Griechen zur vielleicht verwegensten List der Kriegsgeschichte entschließen.
Die
Entstehung der Sage liegt völlig im Dunkeln. Nicht einmal die historische Existenz Homers, der in seiner »Ilias« vom Krieg
um Troja berichtete, gilt als vollends gesichert. Dennoch leiteten Königs- und Kaiserhäuser, ja sogar Städte und ganze Völker,
ihren Ursprung aus dem sagenhaften Troja ab. Die Römer, die Äneas als einen der Katastrophe entkommenen trojanischen Fürsten
zum Stammvater ihres Volkes machten, sind das prominenteste Beispiel dafür. Vergils »Äneis« bewahrte für die Römer die Erinnerung
an die Geschichte des Trojanischen Krieges. In der Literaturwissenschaft kursiert allerdings auch die verschwörerische These,
dass der römische Kaiser Augustus einen verbindenden Gründungsmythos für sein Reich kreieren wollte, weshalb er dem römischen
Gegenwartsautor Vergil einen Schreibauftrag erteilte: die »Äneis« als postfaktischer Mythos?
Bis ins 19.
Jahrhundert war gänzlich unklar, ob es Troja tatsächlich gab, bis heute sind die genauen Umrisse der sagenumwobenen Stadt
unter Historikern umstritten. Es gibt sogar durchaus Hinweise darauf, dass die von Homer beschriebene Konstellation eines
Krieges der Mykener gegen die Trojaner so nicht stattgefunden haben kann. Die mykenischen Fürsten standen in der angenommenen
Zeit militärisch massiv unter Druck und einige Historiker vertreten die These, dass im 12. Jahrhundert v. Chr. die Kapazitäten
für einen Feldzug gegen Troja gar nicht ausgereicht hätten. Troja könnte auch von den sogenannten Seevölkern zerstört worden
sein, die zu dieser Zeit schon das Hethiterreich im Sturm erobert hatten. Oder die Zerstörung beruht, wie auch Archäologen
vermuten, auf einer wesentlich profaneren Ursache: Troja könnte genauso von einem Großbrand, ausgelöst durch ein außer Kontrolle
geratenes Herdfeuer, zerstört worden sein. Die historischen Unwägbarkeiten konnten den Ruhm der »Ilias« jedoch nicht schmälern
können und die Sage gilt weiterhin als eine wichtige Wurzel der griechisch-abendländischen Kultur.
Zu Lebzeiten
Homers lag der Trojanische Krieg bereits etwa 400 Jahre zurück. Heute trennen uns von den Schlachten am Hellespont 3000 Jahre.
Das in der »Ilias« beschriebene grausame Gesicht des Krieges scheint sich in 3000 Jahren Menschheitsgeschichte aber nicht
verändert zu haben. Möglicherweise ist die traurige Tatsache, dass Krieg unausrottbar zum Menschsein dazugehört, auch der
Grund für die ungebrochene Faszination, die von der »Ilias« ausgeht. Die Sage um Troja markiert den Beginn der Kriegsberichterstattung.
In seinem Epos erzählt Homer von Zweikämpfen und Schlachten, Gemetzel und Tod, Zweifel und Angst, Trauer und Leid, Willkür
und Mut, aber auch auf beiden Seiten der Frontlinie von Liebe und der Sehnsucht nach einem Ende des Krieges. Sie untersucht,
wie dünn die Schicht der Zivilisation ist, wie leicht Enthemmung und Bestialität vom Menschen Besitz ergreifen. Darüber hinaus
stellt die »Ilias« aber auch den Beginn einer Serie von politisch-gefärbter Berichterstattung und Manipulation der Öffentlichkeit
dar, die sich durch die Jahrhunderte bis in unsere postfaktische Gegenwart zieht.
In einem groß angelegten
Antiken-Projekt begibt sich Tomas Schweigen mit seinem Team in den rätselhaften Sagenkreis um die Zerstörung Trojas und untersucht
vor allem die Bruchlinien und Widersprüchlichkeiten der Narration. Er schöpft dabei aus unterschiedlichen Quellen von Homers
»Ilias« über Vergils »Aeneis«, Shakespeares »Troilus und Cressida«, Goethes »Iphigenie auf Tauris« bis hin zu »Kein Krieg
um Troja« von Jean Giraudoux. Aus unserer Gegenwart, in der Emotionen den Fakten den Rang abgelaufen haben, blickt er auf
einen der größten Mythen im Spannungsfeld von Zerstörung und Neubeginn, Liebe und Hass, Wahrheit und Politik.