Produktionen
Möglicherweise gab es einen Zwischenfall
von Chris Thorpe
Deutsch
von Katharina Schmitt
DEUTSCHSPRACHIGE ERSTAUFFÜHRUNG
Regie: Marco Štorman
Premiere
am 6. November 2015
Letzte Vorstellung am 27. Dezember 2015
Aufführungsdauer: 1 Stunde 15 Minuten,
keine Pause
Schicksalssekunden: Vier Menschen vor existentiellen Entscheidungssituationen. Vier Menschen, die mehr
als das eigene Leben in der Hand haben. Vier Menschen, aus deren individuellen Wegweisungen sich vielleicht später einmal
zusammensetzt, was man Weltgeschichte nennt. Was wäre, wenn sich in solchen Momenten die Zeit anhalten ließe? Chris Thorpe
mikroskopiert die Entscheidungen seiner Figuren und erzählt elektrisierend über Politik und Privatheit, über die Kosten der
Macht, über die Brutalität, dass dem Menschen erfahrungsgemäß noch immer das eigene Leben wichtiger ist als das anderer. Über
die tödliche Kraft von Ideologie und Verblendung.
Eine Politikerin auf dem Balkon ihrer Residenz, unter ihr tausende
Demonstranten. Vor Jahren war sie als siegreiche Oppositionelle in den Palast der ehemaligen Herrscher eingezogen, um die
Welt zu verbessern, humaner zu machen. Doch nun richtet sich die Wut der Menschen gegen die Bürgerrechtlerin, die zur Diktatorin
wurde. Während sich Panzer und Bevölkerung gegenüberstehen, muss sie handeln…
Ein Mann, bepackt mit Einkaufstüten, inmitten
einer Demonstration. Was, wenn jemand aus der Masse heraustreten und der Staatsgewalt die Stirn bieten würde, einer allein
gegen die Panzer? Was, wenn jemand an diesem Sommertag zu einem Helden werden würde? Eine Frau im Ausnahmezustand: Alles hat
sie hinter sich gelassen und sitzt nun im Flugzeug auf dem Weg in ein neues Leben. Während sie mit ihrem Schritt hadert, kommt
alles anders: bei der Landung verunglückt die Maschine. Sie hat Glück und überlebt – doch plötzlich steht sie wieder vor einer
einschneidenden Entscheidung. Was ist wichtiger: ihr eigenes Leben oder das eines mitreisenden Kindes zu retten?
Gleichzeitig
muss sich ein Mann in einem Verhör für seine Taten rechtfertigen. Er, der doch nur ein friedliches Europa für seine Kinder
wollte. Doch dafür hatte die nächste Generation einen hohen Preis zu zahlen. Spannend und kunstvoll verwebt Chris Thorpe vier
faszinierende Geschichten zu einem rätselhaften Panorama. Gibt es eine Verbindung zwischen den Episoden? Ihm gelingt ein brillantes
Kaleidoskop von Menschen, die vor Entscheidungen stehen, deren Tragweite sie nicht überblicken können. Wie kaum ein Autor
der Gegenwart fasst er das Unbehagen an einer Zeit, in der die Weltlage explosiv und unübersichtlich wie selten scheint, in
einem atmosphärisch dichten Theatertext. Mit der deutschsprachigen Erstaufführung von »Möglicherweise gab es einen Zwischenfall«,
die gleichzeitig am Schauspielhaus Wien in der Regie von Marco Štorman und am Staatstheater Saarbrücken stattfindet, gelangt
erstmals ein Werk von Chris Thorpe auf eine deutschsprachige Theaterbühne.
Marco Štorman, geboren 1980 in Slowenien,
aufgewachsen in Graz und Hamburg, studierte Regie an der Otto-Falckenberg Schule in München und assistierte danach Regisseuren
wie Christoph Schlingensief, Jossi Wieler und Stephan Kimmig in Hannover und Berlin. Seit 2009 ist er freier Regisseur und
wurde 2013 für seine Inszenierung von Elfriede Jelineks »Winterreise« am Stadttheater Klagenfurt zum Festival radikal jung
in München eingeladen, dem renommiertesten Festival für junge Regie im deutschsprachigen Raum. Seitdem inszenierte er u. a.
am Hamburger Thalia Theater, Staatstheater Kassel, Theater Luzern, Staatsoper Stuttgart, Theater Lübeck, Staatstheater Hannover,
Theater Bremen und im Rahmen der Münchener Biennale für neues Musiktheater.
Chris Thorpe, geboren 1969 in Manchester,
ist Autor, Performer und Musiker, der laut seinem Autoren-Kollegen Simon Stephens wie ein »beängstigend intelligenter Noel
Gallagher« klingt. Wesentlich geprägt wurde er vom sogenannten »Devised Theatre«, das Dramatik eher als etwas versteht, das
in kollektiver Autorschaft für ein spezifisches Ensemble entsteht. Er ist Kopf der Compagnie »Unlimited Theatre«, deren Arbeiten
international touren und in den wichtigen Aufführungsstätten der Freien Szene in Großbritannien gastieren. Auftragsstücke
verfasste er für das »Unicorn Theatre« in London und das »Royal Exchange« in Manchester. In seinem jüngsten Stück »Confirmation
« untersucht Thorpe hochspannend, wie schmal der Grad zwischen Common Sense der politischen Debatte und dem rassistischen
Fanatismus eines Extremisten wie Anders Breivik ist. Die hochbrisante Solo-Performance, mit der Chris Thorpe seit 2014 weltweit
auf Tour ist, wird ebenfalls am Schauspielhaus Wien zu erleben sein. Der Text wurde kürzlich mit Corinna Harfouch als Hörspiel
für den deutschen Südwestrundfunk produziert.
2014 wählte der weltweit renommierte Dramatiker Simon Stephens Chris
Thorpe als richtungsweisenden Theaterkünstler aus, der im Rahmen des Stückemarkts des Berliner Theatertreffens auch der deutschsprachigen
Szene vorgestellt werden müsse, denn, so Simon Stephens: »seine Stücke haben den Anstrich des Vertrauten, während darunter
ständig präsent der mögliche Alptraum liegt. Er schreibt von Gewalt und Einsamkeit, von Verzweiflung und Liebe und Schrecken,
und er schreibt inspirierend zart und wahrhaftig. Die Synthese formalen Wagemuts, theatraler Erfindungsgabe, präzisen und
rastlosen Denkens sowie großmütiger, glühender Ehrlichkeit ist außerordentlich.«
Pressestimmen
„…zugleich entwickelt dieses Drama einen seltsamen
Sog und wird auch von den drei Darstellern mit beträchtlichem Talent und großer Konzentration gespielt.“ Die
Presse
„…auf einmal sind Text und Menschen eins, hört man gebannt zu: Der Panzeraufhalter ist
für einen Augenblick der mächtigste Mann des Universums, ein Flugzeug explodiert, die Präsidentin klammert sich unbehaglich
an ihre Mikroständer und die Überzeugung, sie habe nur ihre Arbeit gemacht. Große Momente.“ Nachtkritik.de
„Thorpe erzählt von Führerwahn und Staatsstreichverblendung und schleichendem Faschismus. Sein Stück nimmt
jede Sicherheit. Es dringt unterm Bewusstsein vor ins Hirn.“ Mottingers Meinung
„In seinem
Stück wird gleichzeitig die ganze Bandbreite von menschlichem Sein aufgezeigt. (…) Mit dieser zweiten Produktion demonstriert das
neue Team am Schauspielhaus, wie auch schon in „Punk und Politik“, seine Idee von Theater, die mit zeitgenössischen
Autoren das Hier und Heute erkundet.“ European Cultural News
„Das Theater wird wieder
einmal als politisches Forum entdeckt.“ Wiener Zeitung
"Dass man als Zuschauer dranbleibt,
verdankt sich dem Thrill der Texte und dem engagierten Spiel von Steffen Link, Vassilissa Reznikoff und Sophia Löffler. Nicht
zuletzt das junge Ensemble von Tomas Schweigen verspricht Gutes für die neue Ära.“ NZZ