DE | EN

Heute

Produktionen

Traum Perle Tod!

ein Projekt von Tomas Schweigen & Ensemble
nach dem Roman »Die andere Seite« von Alfred Kubin
URAUFFÜHRUNG
Regie: Tomas Schweigen

Premiere am 29. September 2016
Letzte Vorstellung am 27. Oktober 2016


Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause

Vera und Jesse geben exklusive Einblicke in "Traum Perle Tod!" (Trailer 2)

»Gleichsam seismographisch haben Sie ein Bild entscheidender Vorgänge unserer Zeit vorgezeichnet« schrieb Ernst Jünger 1908 an seinen Freund Alfred Kubin, nachdem er dessen Debütroman »Die andere Seite« verschlungen hatte. Heutzutage liest der sich zunächst wie eine verheißungsvoll- eskapistische Zukunftsvision. Heute, da die Mauern der Festung Europa, die verzweifelt um Sicherheit und Wohlstand kämpft, immer brüchiger werden. Wer hätte sich im Jahr 2016 nicht beim Gedanken an das Auswandern ertappt, an den Rückzug in eine Welt ohne Angst, Terror und Krieg? Wer würde nicht gerne frei von finanziellen Sorgen leben, ohne Stress, unbehelligt von der Gefahr eines politischen, ökonomischen oder individuellen Systemkollapses? Wer hätte nicht schon besorgt darüber nachgedacht, ob sich die Geschichte wiederholt? »Der taumelnde Kontinent« oder »Die Schlafwandler«: Die Zeitdiagnosen, getroffen über Kubins Epoche am Vorabend von Weltkriegen und Faschismus, könnten sich fast gespenstisch auch auf unsere Zeit beziehen. Wer würde sich da also nicht über eine Einladung in ein Reich fernab aller weltpolitischen und ökonomischen Verwerfungen freuen?

»Claus Patera, absoluter Herr des Traumreichs, beauftragt mich als Agenten, Ihnen die Einladung zur Übersiedlung in sein Land zu überreichen.« Was für ein verlockendes Versprechen, das der namenlose Protagonist von Alfred Kubins Roman zu Beginn erhält! Utopische Aussichten! Sein alter Schulfreund Patera habe, zwischenzeitlich zu sagenhaftem Reichtum gekommen, in Zentralasien einen neuen Staat gegründet. Ein Land, dessen Bewohner frei von allen Sorgen und Nöten der Gegenwart leben könnten. Schrankenlose Individualität für alle! Ein Land, in dem alle immer über unendliche Ressourcen verfügen, in dem Geld zum sinnentleerten Spielzeug degradiert ist, weil es ohnehin allen permanent im Überfluss zur Verfügung steht. Das Traumreich verspricht außerdem den wohligregressiven Schritt in die Vergangenheit, zurück in die gute alte Zeit: alle Häuser bestehen aus Fragmenten historischer Gebäude aus Europa! Moderne Techniken von zweifelhaftem Nutzen, die doch nur das Leben sinnlos beschleunigen und Stress verursachen, bleiben draußen! Ausgestattet mit einem großzügigen Reisekostenzuschuss über 100.000 Mark in Form eines Schecks unbekannter Herkunft, machen sich der Protagonist und seine Ehefrau auf den Weg. Nach einer tagelangen Reise erreichen sie eine ungeheure, scheinbar grenzenlose Mauer in dichtem Nebel – das Tor zum Traumreich. Seltsam beklommen betreten sie nach einer weiteren Bahnfahrt die Stadt Perle und werden dennoch schnell heimisch dort. Bald aber häufen sich seltsame Vorfälle: unbekannte Handwerker erscheinen plötzlich in ihrem Haus, um alle Fenster zuzumauern. Die Frau des Erzählers erkrankt an einer unerklärlichen Krankheit. Patera, der Gastgeber, der sie doch eigentlich in das Traumreich eingeladen hatte, ist nie aufzufinden. Andere Bewohner berichten von erschreckenden Vorkommnissen, Visionen, unerklärlichen Angstzuständen, die sie plötzlich von Zeit zu Zeit heimsuchen. Obwohl der Herrscher unsichtbar bleibt, scheint er dennoch alles in der Stadt zu überwachen und zu kontrollieren. Als jedoch eines Tages der milliardenschwere Tycoon Herkules Bell auftaucht, beginnt im Traumreich ein brutaler Krieg aller gegen alle und das Idyll taumelt dem Untergang entgegen...

Alfred Kubin, geboren 1877 in Böhmen, arbeitete ab 1900 als Zeichner und Illustrator und war eines der Gründungsmitglieder der Künstlervereinigung »Der Blaue Reiter«, die maßgeblich die Epoche des Expressionismus prägte. Als Bildender Künstler wie auch als Autor seines 1908 erschienenen Romans war der Sohn eines Landvermessers ein wichtiger Impulsgeber für die surrealen Welten Franz Kafkas und pflegte enge Beziehungen zu Künstlern wie Wassily Kandinsky oder Franz Marc. Jahrzehnte vor den großen dystopischen Romanen von Orwell oder Huxley entwirft er das Szenario einer gläsernen Gesellschaft. Seine Literatur ist wegbereitend für das Genre der Phantastischen Literatur des 20. Jahrhunderts.

Tomas Schweigen eröffnet seine zweite Saison am Schauspielhaus mit einem surrealen, hintergründig-unterhaltsamen Abend, der über die Widersprüchlichkeit politischer Utopie erzählt. Denn die Bewohner des Traumreichs haben sich in der Abwägung von Sicherheit und Freiheit definitiv nicht für den Schutz der Bürgerrechte entschieden. Im Gegenteil führt »Traum Perle Tod!« uns ins kollektive Unbewusste einer sich abschottenden Gesellschaft, deren Sehnsucht nach politischer Führung bedrohliche Züge angenommen hat. Die beißende Satire auf die heißlaufende Beschleunigung von Kapitalismus und Geldwirtschaft mündet in die abgründige Untergangsphantasie einer heraufziehenden Ära menschlicher Katastrophen.

Mit freundlicher Unterstützung von   

Pressestimmen

„Viele traumhafte, schöne Einfälle verzeichnet die Regie von Intendant Tomas Schweigen: surreale Bilder von überlangen Armen, übergroßen Frisuren oder absurd kleinen Beinen. (...) verdienter Applaus für das tolle Ensemble.“ Der Standard

"Straighter Albtraum: Ideenreich und verspielt… Spiel, Musik, Kostüm: Super!" Falter

„Und was für eine Vorgabe für Simon Bauer, Jesse Inman, Steffen Link und Sebastian Schindegger, um gemeinsam mit Vera von Gunten und Vassilissa Reznikoff die neue Schauspielhausbühne mit tollem Einsatz zu bespaßen.“ Kronenzeitung

„Kubins Text, früher häufig unter dem Blickwinkel von Tramdeutungsideen seziert, bekommt unter den derzeitigen globalen, gesellschaftlichen Bedingungen einen neuen Dreh. (…) Die Auflösungserscheinungen der Traumlandgesellschaft, die mit erschreckender Klarheit wenn schon nicht mit unserer Gegenwart, dann doch mit einer nahen Zukunft verglichen werden können, machen das Stück im Schauspielhaus hoch aktuell.“ European Cultural News

Kalender