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MITWISSER

von Enis Maci
URAUFFÜHRUNG
Regie: Pedro Martins Beja

Premiere am 24. März 2018

Die Produktion »MITWISSER« ist zu den 44. MÜLHEIMER THEATERTAGEN NRW (Stücke 2019) und zu den Autorentheatertagen 2019 am Deutschen Theater Berlin eingeladen. Wir gratulieren Enis Maci, Pedro Martins Beja und unserem Ensemble sehr herzlich!

Wiederaufnahme:
28. Juni 2019 / 20:00 Uhr > Karten kaufen
29. Juni 2019 / 20:00 Uhr > Karten kaufen


Aufführungsdauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

»Mitwisser« wurde mit dem Hans-Gratzer-Stipendium 2017 ausgezeichnet und im Rahmen eines Autor*innen Workshops am Schauspielhaus Wien entwickelt. Für die Unterstützung des Hans-Gratzer-Stipendiums danken wir herzlich der literar mechana.

Drei Verbrechen stehen im Zentrum von Enis Macis poetischer Kartografie einer verrohenden Welt. Dabei geht es der Autorin weniger um die Täter als um das zugrundeliegende Biosystem, den Humus der Gewalt: die Mitwisser.
 
27°20‘01.6“N  80°20’40.9“W. Port  St. Lucie, Florida, USA.
 
Eine Stadt am Rande der Sümpfe, Platanen und Zypressen zwischen brutalistischen Hausformationen. Die Natur kämpft hier gegen die Zivilisation an. Die Sümpfe wollen die Kultur verschlucken. In dieser seltsam schwülen Atmosphäre wachsen junge Menschen auf, viele sind es nicht mehr. Die Stadt eignet sich eher für Rentner – jenseits von Golfplätzen, anonymen Apartmentblocks und Altenheimen gibt es wenig zu erleben. Da kommt es dem Freundeskreis aus der Highschool gerade recht, als der Teenager Tyler Hadley eine Einladung zu einer Party in seinem Elternhaus an seine WhatsApp-Gruppe schickt. Doch das Treffen der Jugendlichen gerät außer Kontrolle.
 
38°08‘40.0“N  31°13‘28.1“E  Koruyaka, Türkei, Asien.
 
Am anderen Ende der Welt wird Nevin Yildirim Opfer eines brutalen Verbrechens. Ungeheuerlicherweise ist der Täter für sie kein Unbekannter. Sie will, dass er bestraft wird, auf die Justiz kann sie dabei allerdings nicht erst warten. Wie weit darf sie gehen? Wo verlaufen die Grenzen zwischen nachvollziehbarem Impuls und blindem Affekt? Kann Rache jemals legitim sein?
 
51°35‘07.4“N 6°45‘29.6“E. Dinslaken, Deutschland, Europa.
 
Die ehemaligen Industrielandschaften des Ruhrgebiets sind heute von Arbeitslosigkeit und Bevölkerungsschwund gekennzeichnet. Vielen Bewohnern bietet diese Gegend nur noch wenig Perspektive. Der samstägliche Gang ins Fußballstadion gehört zur kulturellen DNA. Im Lauf der Jahrzehnte haben sich in dieser von Migration geprägten Gegend zwischen stillgelegten Kohlezechen, Industriebrachen und Fußballstadien salafistische Parallelgesellschaften herausgebildet. Die Strukturschwäche der Region eignet sich als Nährboden für Ideologie und Fanatismus. Der junge Nils Donath, leidenschaftlicher Fußballfan mit Kontakten zur Hooliganszene, entschließt sich bald zum denkbar radikalsten Bruch mit der westlichen Kultur.
 
Wie eine Drohne observiert Enis Maci irritierende Topografien und beschreibt mit großer Poesie eine aus den Fugen geratene Welt. In ihrem lyrischen Epos stellt sie das Ungeheure, Monströse neben das Alltägliche, in dem sich aber bisweilen Abgründe aufzutun scheinen und verknüpft beides zu einem düsteren Panorama. Im Zentrum stehen drei reale Kriminalfälle. Mehr als auf die Täter richtet sie ihren Blick dabei aber auf die Szenerien, auf Ökosysteme, die solches Handeln zulassen. Mal schaut Maci in fast planetarischem Maßstab auf diese Gebiete, mal zoomt sie tief hinein in die Beziehungsgeflechte, die menschlichen Biotope, die den Nährboden aller Taten ihrer Bewohner bilden. Sie unterliegt dabei nie der Versuchung, reißerisch oder sensationsheischend auf die Figuren zu blicken. Stattdessen setzt sie ein alternatives Gericht ein, das die Taten jedoch nicht moralisch werten will, sondern ihre Voraussetzungen, ihre Umgebung befragt. Überall finden sich seltsam passive, resignierte Menschen, die mit irritierendem Verständnis in die Abgründe blicken, mit denen sie konfrontiert sind. Enis Maci entdeckt auf ihrer Landkarte der Mitwisserschaft Mechanismen, die bis in die Mitte unserer Gesellschaft wirksam sind.
 
Enis Maci, geboren 1993 in Gelsenkirchen (D), studierte Literarisches Schreiben in Leipzig. Am dortigen Schauspiel wird 2018 ihr Erstling »Lebendfallen« uraufgeführt. Mit ihrem zweiten Stück »Mitwisser« wird nun erstmals eines ihrer Werke in Österreich zur Aufführung gebracht. Für ihre ersten Skizzen wurde sie als Nachfolgerin von Miroslava Svolikova mit dem Hans-Gratzer-Stipendium des Schauspielhauses Wien ausgezeichnet. Unter 70 Bewerber*innen war sie gemeinsam mit vier anderen zu einem Workshop unter der Leitung von Kathrin Röggla eingeladen worden, in dessen Rahmen die Kandidat*innen an ihren Entwürfen weiterarbeiten konnten. Mit Maci gewinnt das deutschsprachige Theater eine kraftvolle neue Stimme, deren schwärzlich-schillernde Poesie es dringend zu entdecken gilt.
 
Pedro Martins Beja, 1978 geboren, studierte Regie an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« und inszenierte u. a. an der Berliner Schaubühne, am Schauspiel Frankfurt, am Düsseldorfer Schauspielhaus, Schauspielhaus Wien, am Schauspielhaus Graz sowie am Theater Neumarkt Zürich. In den vergangenen Jahren führten ihn mehrere Arbeiten nach Finnland.

Produktionsteam

Besetzung: Simon Bauer, Lili Epply, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff, Sebastian Schindegger
Autorin: Enis Maci
Regie: Pedro Martins Beja
Bühne & Kostüme: Elisabeth Weiß
Musik: Markus Steinkellner
Ton: Benjamin Bauer
Dramaturgie: Tobias Schuster
Regieassistenz: Gabriel Zschache

Pressestimmen

„Ein brillanter, unverschämt überfordernder Text über Schuld, Gewalt und Rache, über Drogenparties und Ehrenmorde, der vom Ästchen aufs Stöckchen kommt oder, in der Sprache des Web 2.0, von einem offenen Tab zum nächsten. Im Zentrum stehen drei wahre Begebenheiten. In einer Rentnerenklave in Florida bringt ein Jugendlicher seine Eltern um und lädt danach die halbe Schule zur Homeparty ein. (…) Seinen Status als Schauspielhaus-Ensemblemitglied der Herzen verteidigt Simon Bauer zum wiederholten Mal, als Highschoolpartygast ist er genauso großartig wie als "Deutschland den Deutschen"-Pöbler. Lili Epply erinnert in ihrer Rolle als Selbstjustizia im bodenlangen Paillettenkleid an Uma Thurman in "Kill Bill", die trotz moralischer Fragwürdigkeit der Inbegriff von Coolness ist.“ NACHTKRITIK

„Enis Maci bindet in "Mitwisser" antike Tragödie mit aktuellen Kriminalfällen zusammen. Pedro Martins Beja inszenierte mit einigen starken Bildern. Ein Chor kommentiert die Ereignisse, er wurde perfekt einstudiert, wie man es selten erlebt. Regisseur Pedro Martins Beja zeigt einen starken Formwillen. Bühnen- und Kostümbildnerin Elisabeth Weiß steht ihm mit dystopischem Ambiente bei. (...) Die Produktion, die anfangs etwas spröde wirkt,, rundet sich alsbald zu einem sehenswerten Abend, der das jüngere Publikum – und Ältere, die modernes Theater mögen – interessieren könnte, weil hier eben Bildung und Aktualität (…) auf theaterwirksame Weise zusammengefügt werden.“ DIE PRESSE

„Eine gefühlte Viertelstunde lang, bis alle Gäste sitzen, ein stummes Kabinettstück zum Niederknien schön. Fünf wackelig sich bewegende Alterchen in altrosa bis lindgrünen Hoodies. Ihre Bocciakugeln schlagen auf dem Gitterrost des Bühnenbodens auf. Zum Bücken schon zu steift, holt eine der Senilomasken mit einem Magneten an der Leine die Kugel zur Hand. (…) Enis Maci, 25, Absolventin der dramatischen Brutanstalt Deutsches Literaturinstitut Leipzig, will in ihrem Debütstück "Mitwisser" sagen, zeigen: Alles hängt global vernetzt zusammen – Tun, Mitwissen und Mittun, Schuld und Mitschuld.“ WIENER ZEITUNG

"Regisseur Pedro Martins Beja und Bühnen-/Kostümbildnerin Elisabeth Weiß liefern gemeinsam mit den hervorragenden Darstellern - Lili Epply, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff, Simon Bauer und Sebastian Schindegger füllen den Abend mit körperlicher Präsenz - einen beeindruckenden Abend, der dank seiner starken Bilder einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat." KRONENZEITUNG

"Allen diesen Fällen soll das nämliche Dilemma zugrunde liegen: Freunde und Bekannte bilden ein merkwürdig zähflüssiges Biotop, in dem sämtliche Ursachen für die sich überraschend entladende Gewalt spurlos verschwinden oder, schlimmer noch: sich bequem entsorgen lassen. Macis Drama korrespondiert mit der ältesten Analyseform der Welt: dem Chorgedicht. (...) - Der fünfköpfige Chor (Regie: Pedro Martins Beja) ist jedenfalls mit viel Verve bei der (...) Sache." DER STANDARD

„Martins Beja lässt seine fünf Spieler, Simon Bauer, Lili Epply, Steffen Link, Vassilissa Reznikoff und Sebastian Schindegger von Position zu Position gleiten, so macht er das Publikum zum Komplizen, die Mitwisser zu Mittätern zu Mitschuldigen.(…) Maci sucht nach dem morbiden Zustand zwischen Rache und Täterschaft. Dass sie dazu den Urquell griechischer Tragödien aufsucht, dass Martins Beja dazu seinen „Chor“ gruppiert, ist klar. Ödipus, Klytaimnestra, die Ethylen-Trancen des Orakels von Delphi, die inneren Stimmen bei Homer, die wie Vorläufer der Netzkommentare den Protagonisten ihre Entscheidungen abnehmen … was wäre passender um Mord und Gemetzel bis heute zu beschreiben? Maci tut dies sprachmächtig, fesselnd, mit brutaler Poesie, Martins Beja findet dazu gewaltige Bilder“ MOTTINGERS MEINUNG

"Es ist bei weitem kein leichter Stoff der hier auf der Bühne des Schauspielhauses in eineinhalb Stunden verhandelt wird. Die eindeutige Hauptrolle an diesem Abend spielt der Text von Enis Maci, der in einer feinfühligen Regie von Pedro Martins Beja zu seiner Uraufführung am Schauspielhaus Wien gebracht wurde. Der zumeist in chorischen Passagen gesprochene Text wird von dem Ensemble gemeinsam mit großer Präzision und insgesamt bravurös präsentiert." callisti1010.com

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